Ohrwurm und Zungenbrecher: Systemische Organisationsentwicklung in der Theorie (Teil 1)
Das Zauberwort “systemisch” ist seit Jahren in aller Munde. Es wird zunehmend systemisch gecoacht, beraten, trainiert. Und ist Organisationsentwicklung nicht eigentlich Aufgabe von “Business Development”? Viele Entscheider können mit diesem Schlagwort wenig bis gar nichts anzufangen. Manchmal fehlt eine Illustration wie das konkrete Vorhaben einer systematischen Organisationsentwicklung aussehen kann. Manchmal ist der konkrete Nutzen nicht klar formuliert oder ersichtlich. Oder die Verantwortlichen befürchten, dass es ein “Jahrhundertprojekt” wird, das viel Ressourcen und Kapital verschlingt.
Daher werde ich einen zweigeteilten Artikel schreiben. Beginnen werde ich heute mit der Theorie “Was ist das?” und im zweiten Teil ein Beispiel mit dem konkreten Nutzen einer systemischen Maßnahme “Wie geht das und was nutzt es?” schildern. Was also ist unter “systemischer Organisationsentwicklung” zu verstehen”?
Im Ansatz der systemischen Organisationsentwicklung werden Veränderungsprozesse ganzheitlich betrachtet. Das bedeutet, die Projektplanung einer Veränderung (sachlogische Ebene) mit den Veränderungsauswirkungen auf das soziale System, die Mitarbeiter und Führungskräfte (psychologisch-menschliche Ebene) zu verknüpfen. Jede sachliche Maßnahme bewirkt eine emotionale Reaktion. Ein kleines Beispiel hierzu: Ein “interner Umzug” von Abteilungen im selben Gebäude. Da mag alles generalsstabsmäßig geplant worden sein, aber die Unruhen, Bedenken, Ängste von Mitarbeitern schlagen sich in einer verminderten Produktivität nieder, da viele Diskussionen auf den Fluren stattfinden. Deshalb ist es erfolgversprechend, wenn parallel zum Projektplan überlegt wird, wie Mitarbeiter und Führungskräfte durch die geplante Veränderung begleitet und unterstützt werden.
Letztlich sind es sechs Aspekte, die bei der Systemischen Organisationsentwicklung berücksichtigt werden:
- Die Mitarbeiter – ‚Elemente des Systems‘: Welche Auswirkungen haben die Veränderungen auf die Mitarbeiter – gibt es Gewinner und Verlierer? Welche Fähigkeiten und Ressourcen haben die Mitarbeiter bereits, um den Veränderungsprozess positiv zu unterstützen? Welche Unterstützung ist darüber hinaus notwendig?
- Das Zusammenspiel – ‚Interaktionsstrukturen des Systems‘: Wie wird im Unternehmen kommuniziert: Gibt es ausreichende, offizielle Informationen oder dominiert der Flurfunk? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit zwischen den Bereichen, den einzelnen Teams und wie funktioniert das Zusammenspiel im Führungskreis? Welche zusätzlichen Maßnahmen sollten bereitgestellt werden, um Veränderungen schnell in ein gemeinsames Grundverständnis und in die erfolgreiche Umsetzung zu bringen?
- Der Geist des Hauses – ‚subjektive Deutungen‘: Welche Unternehmenskultur herrscht im Unternehmen? Welche Werte sind vorherrschend, wie kann die DNA des Unternehmens beschreiben werden? Welche Bedeutung hat Veränderung – positive Entwicklung oder bedrohende Entwicklung – und welches Verhalten zeigen die Betroffenen?
- Die Regeln – offizielle und ungeschriebene: Was muss man im Unternehmen tun, um positiv zu wirken oder nicht aufzufallen; Was wird inoffiziell sanktioniert? Welche offiziellen Regeln im sozialen Miteinander gibt es und inwieweit werden sie eingehalten? Welche inoffiziellen Regeln haben sich etabliert und was bewirken sie?
- Rahmenbedingungen und Umwelt: Welche wichtigen Einflüsse gibt es von Außen, die spürbare Wirkungen auf das Unternehmen haben: Gesellschaftliche Entwicklungen, Gesetze und Normen, technische Entwicklungen, Arbeitsmarkt, Wettbewerb. Wie reagiert das Unternehmen auf diese Entwicklungen: Handelt es proaktiv oder reaktiv? Inwieweit können diese Rahmenbedingungen den gewollten Veränderungsprozess positiv oder negativ beeinflussen?
- Geschichte und Zukunft: Wo kommt das Unternehmen her und wie hat es sich entwickelt? Welche Spuren sind immer noch in der Kultur des Unternehmens zu finden? Auf was ist man stolz und was verdrängt man? Wie klar ist den Mitarbeitern das Bild von der Zukunft des Unternehmens und wie klar ist ihnen, welche Aufgabe sie in Zukunft haben werden?
Für die nachhaltige und erfolgreiche Begleitung eines Veränderungsprozesses sind alle Aspekte zu berücksichtigen. Ob alle Aspekte bearbeitet werden müssen zeigt sich in der Bedarfsanalyse. Alles im Blick zu haben, das Unternehmen als “System” in all seinen Aspekten zu betrachten – das ist systemische Organisationsentwicklung.